Archiv-Beitrag vom 06.01.201570. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz
Gedenkfeier am 27. Januar auf dem Jüdischen Friedhof
Die Stadt Mülheim an der Ruhr und die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen haben gemeinsam aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 durch die Alliierten am
Dienstag, 27. Januar 2015, um 12 Uhr, auf dem Jüdischen Friedhof an der Gracht im Rahmen einer Feierstunde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht und Kränze niedergelegt.
Fotos: Walter Schernstein
Rede der Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
zur Gedenkveranstaltung „Befreiung KZ Auschwitz“
***
Sehr geehrter Herr Rabbiner Reuven Konnig,
meine sehr geehrten Herren und Damen,
vor 70 Jahren wurde das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz auf dem Gebiet des heutigen Polen von sowjetischen Truppen befreit. Das Lager dort war zwar nur einer von vielen Orten, an denen die Nationalsozialisten Unmenschliches an Menschen jüdischen Glaubens, aber auch an Homosexuellen, an Sinti und Roma sowie an Menschen mit Behinderung verbrochen haben.
Aber dieses Lager ist zum Synonym für den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden geworden und tief in unserem Gedächtnis verhaftet. Auschwitz ist das Kainsmal der deutschen Geschichte.
Wir sind heute hier, um gemeinsam mit VertreterInnen der jüdischen Gemeinde der Opfer zu gedenken. Um unsere Scham und unsere Trauer über das sinnlose Leiden und den Tod von Millionen Menschen zum Ausdruck zu bringen. Und um aus tiefstem Herzen und Überzeugung zu sagen: Das darf nie wieder geschehen!
Gedenken am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Jüdischen Friedhof an der Gracht.
Die Rote Armee hat das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Und sie hat an der Beseitigung des NS-Terror-Regimes mitgewirkt. Für Beides haben Hunderttausende sowjetischer Soldaten ihr Leben gelassen. Wir sind der Sowjetunion heute noch dankbar dafür.
Umso Besorgnis erregender ist für mich, wie schlecht sieben Jahrzehnte später das Verhältnis zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn ist. So schlecht, dass der russische Präsident Putin nicht an der zentralen Gedenkfeier der Befreiung des KZ Auschwitz' teilnimmt.
Die Gründe seiner Absage sind für mich zweifelhaft; die Wirkung jedoch ist fatal. In Teilen der Ukraine herrschen kriegsähnliche Zustände. Polen und Russen sprechen nicht mehr miteinander. Deutschland und Frankreich bemühen sich vergeblich um Vermittlung. Es herrscht Eiszeit. Das bereitet mir große Sorge.
Und dann der Terror-Angriff auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt in Paris vor 20 Tagen - 16 unschuldige Menschen sind tot. Vier davon hat ein einzelner Attentäter beim Einkaufen umgebracht. Einfach so. Weil es ein koscherer Laden war und hier mutmaßlich Juden einkauften.
Dieser gezielte Angriff auf Menschen jüdischen Glaubens, mitten in Europa, und das 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager – diese Tat ist unfassbar. Ich hatte lange glaubt, wir hätten in Europa aus unserer Geschichte gelernt, wir hätten den rassistisch bedingten Antisemitismus überwunden. Ich musste mich eines Besseren belehren lassen.
Das tut weh. Es erschüttert mich/uns zutiefst. Es bricht aber nicht meinen/unseren Willen, weiterhin und jetzt mit noch größerem Nachdruck an einem friedlichen, toleranten und offenen Europa mitzuwirken.
Schülerinnen der Realschule Mellinghofer Straße gestalteten die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz mit.
„Im Menschen ist nun mal ein Drang zur Vernichtung, ein Drang zum Totschlagen, zum Morden und Wüten, und solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten, wird alles, was gebaut, gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet, und dann fängt es wieder von vorne an.“
Anne Frank darf am Ende nicht Recht behalten. Auch wenn dieses Zitat aus ihrem Tagebuch angesichts des weltweiten Terrors eine geradezu beklemmende Aktualität hat. Die bekannte Geschichte des jungen Mädchens, das im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde, ist ein Mahnmal gegen das Vergessen.
Und damit nicht „alles wieder von vorne anfängt“, deshalb sind wir heute hier.
Meine sehr geehrten Herren und Damen,
ich danke Ihnen allen sehr für Ihr Kommen. Es ist für mich ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht, dass wir uns auch in diesem Jahr wieder hier auf dem jüdischen Friedhof treffen und an den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz erinnern.
Wir gedenken der dort von den Nazis ermordeten Menschen. Und wir bekunden unsere Scham angesichts der Toten und angesichts dessen, was den Überlebenden zugefügt wurde.
Wir gedenken aller sechs Millionen europäischer Juden und anderer Verfolgter, die dem staatlich organisierten und industriell betriebenen Massenmord der Nazis zum Opfer fielen…
Ich bin sehr froh darüber, dass wir dieses Gedenken gemeinsam mit unseren jüdischen MitbürgerInnen begehen. Denn dies ist angesichts der Ungeheuerlichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen auch heute noch nicht selbstverständlich. Gemeinsam hier zu stehen und gemeinsam zu trauern, bleibt für mich ein kleines Wunder,
Angesichts der schrecklichen Verbrechen, die unter anderem mit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz öffentlich wurden, war es kaum vorstellbar, dass sich nach Ende des Krieges je wieder Menschen jüdischen Glaubens freiwillig in Deutschland niederlassen würden.
Und doch: Die jüdische Gemeinde in Deutschland ist heute eine der größten in Europa. Ihre Mitglieder bringen sich aktiv in unsere Gesellschaft ein und machen immer wieder deutlich, dass sie unverzichtbarer Teil unserer Kultur sind.
Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld bei ihrer Rede zur Gedenkveranstaltung „Befreiung KZ Auschwitz“.
Sehr verehrte Anwesende,
es ist unsere Aufgabe als Staat und Stadtgesellschaft, der immer wieder aufflammenden Hetze rechter Brandstifter mit einer wehrhaften Demokratie entgegen zu treten. Was in Dresden und anderen Städten derzeit unter dem Mantel der Meinungsfreiheit geschieht, muss uns alle beschämen. Und wir dürfen nicht wort- und tatenlos zusehen!
In Deutschland darf es keine Toleranz geben, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost oder gar geleugnet werden, wenn Nazi-Parolen gebrüllt und Menschen anderer Nationalität oder anderen Glaubens ausgegrenzt, beschimpft oder angegriffen werden! Das sind wir unserer Geschichte schuldig. Und dazu rufe ich Sie alle auf!
Auschwitz ist Sinnbild für unvorstellbare Barbarei, für das unendliche Leid, das Menschen anderen Menschen zufügen können, wenn die dünne Decke der Zivilisation reißt.
Auschwitz steht für die epochalen Verbrechen der Deutschen und ist uns stetige Mahnung, dass so etwas nie wieder geschehen darf.
Heute besteht unsere gemeinsame Verantwortung darin, die Erinnerung wach zu halten, damit kein Opfer je vergessen wird.
Wir verneigen uns nun vor den Toten.
Kontakt
Stand: 28.01.2015
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