Archiv-Beitrag vom 27.11.2013Entscheidung des OVG über die Herausgabe der "Swap-Gutachten"
Stadt weist Vorwurf falscher Prozessführung zurück
Die in der WAZ vom 27. November 2013 wiedergegebene Kritik des Oberverwaltungsgerichts (OVG) an der städtischen Prozessführung ist nach Auffassung der Verwaltung unberechtigt. Vielmehr orientierte sich die Verwaltung bei ihrer Prozessführung allein an den im Prozessverlauf veränderten Tatsachen.
Die Stadt hatte eine Herausgabe der Gutachten zunächst mit dem gesetzlichen Ablehnungsgrund „Schutz des behördlichen Entscheidungsfindungsprozesses“ begründet. Die Entscheidung, ob Klage gegen die beratenden Banken erhoben werde, sei noch nicht getroffen (gewesen). Denn der schützenswerte Entscheidungsfindungsprozess schließe auch die Entscheidung der Politik ein. Rat und Ausschüsse bilden mit der Verwaltung eine Einheit, gemeinsam erst machen sie die Behörde Stadt Mülheim an der Ruhr aus. Erst mit dem abschließenden Beschluss des Rates über die Klageerhebung werde der Entscheidungsfindungsprozess der Behörde abgeschlossen. Diese hatte der Rat aber noch nicht getroffen, es wurde vielmehr zunächst die Entwicklung der Rechtsprechung abgewartet.
Da erstmals seit dem einstimmigen Beschluss des Finanzausschusses vom 4. November 2013 eine abschließende Entscheidung des Rates am 18. Dezember 2013 über die Klageerhebung zu erwarten ist, teilte das Rechtsamt dem OVG diese Sachverhaltsänderung umgehend mit und berief sich richtigerweise nunmehr auf einen anderen Ablehnungsgrund gegenüber dem Anspruch auf Einsichtnahme: „zu befürchtende erhebliche Beeinträchtigung einer behördlichen Maßnahme“. Mit dem Beschluss des Rates werde der behördliche Entscheidungsfindungsprozess zwar abgeschlossen, die Einsichtnahme könne jedoch weiterhin nicht erfolgen, denn die Einsichtnahme in das Gutachten gefährde nunmehr die Erfolgsaussichten der Stadt in den jetzt unmittelbar bevorstehenden Schadenersatzprozessen gegen die Banken. Durch die Herausgabe der Gutachten würden Informationen offenkundig, nach denen die Banken mit Leichtigkeit ihre Prozessstrategie gegen die Stadt ausrichten könnten.
Diese Sachverhaltsänderung und der neue rechtliche Gesichtspunkt haben das OVG dazu veranlasst, von der Stadt mit Fristsetzung bis zum 22. November 2013, 14 Uhr erstmals detaillierte Angaben zu dem Inhalt des Rechtsgutachtens und zu schützenswerten Inhalten zu machen. Bis dahin spielten diese Angaben hier und auch in der Vorinstanz keine Rolle. „Vielleicht war das OVG von der Fülle der Angaben überrascht, die das Rechtsamt fristgerecht machte. Möglicherweise hat sich das OVG über die sehr kurzfristig zu bewertenden umfangreichen neuen Tatsachen geärgert“, sagt Rechtsamtsleiterin Bettina Döbbe, die in der mündlichen Verhandlung anwesend war.
Ob das relevante Gutachten zu Ansprüchen gegen die Banken und Ansprüchen gegen Mitarbeiter aus einem oder zwei Teilen besteht (Teil 1 Ansprüche gegen die Banken 2008 und Teil 2 Ansprüche gegen Mitarbeiter 2009), ist auch nach Auffassung des OVG ohne Relevanz, es gilt derselbe Prüfmaßstab. Den Vorwurf der Trickserei, den die WAZ erhebt, weist die Stadt mit Entschiedenheit zurück.
In der Sache hat das OVG die Anforderungen sehr hoch angesetzt, ab wann eine erhebliche Beeinträchtigung der Erfolgsaussichten der Schadenersatzprozesse der Stadt vorliege. „Es bleibt zu hoffen, dass die Auffassung des OVG zutrifft und sich die Erfolgsaussichten durch die Herausgabe der Gutachten an die WAZ wirklich nicht verschlechtert haben“, so Stadtdirektor Dr. Frank Steinfort.
Transparenz und Verantwortung
Kommentar zu „Stadt muss Wettgutachten freigeben“ (WAZ vom 27.11.2013)
– ein Kommentar von Dr. Frank Steinfort:
Das OVG Münster hat nun entschieden, dass Rechtsgutachten aus den Jahren 2008 und 2009 an die WAZ herausgegeben werden müssen. In diesen Gutachten kommt die Stadt zu dem Ergebnis, dass nach der damals herrschenden Rechtslage keine Regressansprüche gegen Banken oder Mitarbeiter bestehen, die an den sogenannten Swap-Geschäften beteiligt waren. Es handelte sich um hausinterne Gutachten, die damals nach bestem Wissen angefertigt wurden. Erst durch einen 2011 eingeleiteten Wandel der Rechtsprechung wurden Wege aufgezeigt, doch noch Schadensersatzansprüche gegen die beteiligten Banken durchzusetzen.
Die Berichterstattung und der Kommentar in der WAZ vom 27. November 2013 über diese Entscheidung machen es meines Erachtens notwendig, auch für „Nichtfachleute“ noch einmal die Motive der städtischen Vorgehensweise zu erläutern.
Zunächst einmal wird von der WAZ behauptet, endlich werde nun Transparenz geschaffen, weil man die Gutachten aus 2008 und 2009 erhalte. Doch schon 2011 konnten alle Ratsmitglieder, die es wollten, in alle Gutachten, Anlagen und sonstige Akten unbegrenzt Einblick nehmen. Die daraus resultierenden Fragen wurden ausführlich und umfangreich diskutiert. Es blieben am Ende keine weiteren Informationswünsche offen. Bedenkt man, dass die Ratsmitglieder in unserer repräsentativen Demokratie die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Mülheim repräsentieren, dann wird man schon nachdenklich, wenn der Vorwurf mangelnder Transparenz erhoben wird, obwohl eben jenen Repräsentanten alles vorgelegt wurde, was sich in den Akten befindet.
Die Gutachten sollten 2011 der Presse allein deshalb nicht zur Verfügung gestellt werden, weil der Entscheidungsfindungsprozess der Stadt über mögliche Klagen noch nicht abgeschlossen war und man angesichts der sich ändernden Rechtsprechung unerwartet plötzlich doch noch (zunächst geringe, später nach weiteren Urteilen immer größere) Chancen sah, vielleicht Schadensersatzansprüche gegen die Banken durchsetzen zu können. Da insbesondere das Gutachten zur Bankenhaftung aus 2008 auch Hinweise darauf enthält, warum wir damals erhebliche Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit unserer Ansprüche hatten, wollten wir es zum Schutz unserer Klage-Erfolgsaussichten nicht an die Presse geben. Denn auch die neue Rechtsprechung löst nicht alle unsere Probleme in den nun anstehenden Schadensersatzklagen! Indem wir die Herausgabe der Gutachten ablehnten, wollten wir in Verantwortung für die Allgemeinheit und die Öffentlichkeit handeln, unsere Erfolgsaussichten zur Durchsetzung eines Anspruchs von über 10 Millionen Euro nicht zu schmälern. Hier zeigt sich, dass grenzenlose Transparenz nicht immer nur nützlich für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sein muss. Transparenz allein ist kein Selbstzweck. Sie kann nicht für sich allein und isoliert von anderen Belangen beurteilt werden. Sie muss vielmehr im Kontext zu Fragen des Rechtsschutzes und der Verantwortung für andere, manchmal kollidierende Belange, gesehen werden und kann dort im Einzelfall sehr wohl auch ihre Grenzen finden. Es bleibt abzuwarten, wie verantwortungsvoll nun die WAZ mit ihren Informationen aus dem Gutachten umgeht.
Auch wenn das OVG nun entschieden hat, dass die Gutachten herausgegeben werden müssen, so war dies (nur) eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung, über deren Richtigkeit man auch nach der Entscheidung noch mit guten Argumenten diskutieren kann.
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Stand: 29.11.2013
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