Archiv-Beitrag vom 02.07.2012Neuer Ratssaal eingeweiht
Am Samstag, 30. Juni 2012 wurde nach dreijähriger Sanierungsphase der neue Ratssaal im historischen Rathaus wiedereröffnet.
Im Rahmen einer "Feierstunde aus Anlass der Übergabe des neu gestalteten Ratssaales des Mülheimer Rathauses" sprach Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld vor den anwesenden amtierenden Stadtverordneten und Vertretern der Verwaltung von einem der "schönsten Rathäuser Deutschlands".
(Fotos: Walter Schernstein)
Sie dankte den Architekten Manfred Thomann und Klas Wischmann des Büros RKW aus Düsseldorf, nach deren Plänen die Komplettsanierung des Jahres durchgeführt wurde und dem Ehepaaar Lindgens, welches der Stadt das Leder für das Ratssaal-Mobiliar schenkte. Die Oberbürgermeisterin enthüllte für KurtLudwig Lindgens und seine Frau Barbara daher eine Danksagungstafel im neuen Ratssaal.
Dr. Kai Rawe, Leiter des Stadtarchivs, stellte historische Betrachtungen zur Geschichte des Mülheimer Rathauses an. "Rathaus und Ratssaal hatten die vergangenen Jahrzehnte, in denen kaum etwas investiert wurde, nicht gut überstanden," so der Historiker. Der Umbau war somit dringend notwendig. Zufrieden sind alle mit dem Ergebnis! Im Spätsommer wird es noch einen Tag der offenen Tür für die Bürger geben.
Rede von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
zur Wiedereröffnung des Ratssaals
am Samstag, 30. Juni 2012, 11.00 Uhr
Rathaus
***
Sehr geehrte Herren und Damen amtierende Stadtverordnete,
liebe Kollegen und Kolleginnen, die Sie in der 14. Wahlperiode des Rates die Entscheidung zum Rathausumbau mit herbeigeführt haben und heute meiner Einladung gefolgt sind.
Sie alle begrüße ich sehr herzlich im neuen historischen Ratssaal.
Unser besonderer Dank gilt unserem Mülheimer Unternehmer KurtLudwig Lindgens und seiner Frau Barbara als Stifter des Leders, das hier im Ratssaal und in allen Sitzungssälen der Ratsspange verarbeitet wurde.
Die großzügige Gabe zeigt nicht nur, wie sehr sich KurtLudwig Lindgens seiner Heimatstadt verbunden fühlt, sondern gibt auch ein Beispiel für vorbildlichen Bürgersinn.
Ich danke ihm dafür im Namen der Stadt Mülheim an der Ruhr und ihrer Bürgerschaft wie auch persönlich von Herzen!
Liebe Gäste, meine sehr geehrten Herren und Damen,
ich weiß natürlich nicht, was Ihnen gerade jetzt so durch den Kopf geht, während sie die ersten Raumeindrücke aufnehmen und auf sich wirken lassen können. Auch wenn es bei mir – wie sie sich denken können – keine spontanen Gedanken mehr sind: Ich wette, die Bedeutung, die dieser Raum und dieses wiedererstandene Gebäude für unsere Stadt und ihre Bürgerschaft haben, spielt heute in unserer aller Gedanken eine Rolle.
„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!“
Dieser Satz aus Goethes Faust, Teil 1, Nacht, steht ganz am Anfang des berühmten Dramas.
Ich stelle ihn an den Anfang meiner Rede, weil er mir seit der ersten Führung durchs „neue“ Rathaus für eine Gruppe von durch die WAZ ausgelosten Leserinnen so überaus passend erscheint. Damals habe ich ihn beiläufig bei der Begrüßung zitiert, und am Ende zeigte sich, dass er aus der Sicht der Gäste eine zutreffende Aussage darstellte. Denn es kam viel Zustimmung, dass wir im Sinne dieses Satzes eine gute und richtige Entscheidung getroffen und ein gutes Ergebnis ermöglicht hatten.
Nun folgt auf diese Aussage in Goethes Tragödie noch eine Fortsetzung, die für mich heute unbedingt dazu gehört. Weiter heißt es nämlich: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“
Rathäuser, liebe Festgäste, das sehen wir sicher alle so, gehören zu den stadtgeschichtlich wichtigsten Erbstücken überhaupt. In ihnen sind Bürgerstolz und Bürgerfreiheit, Bürgermacht und Selbstverständnis von Stadtgesellschaft zu Stein geworden.
Sie prägen in der Regel das Stadtbild und bilden zusammen mit der Kirche, dem Gerichtsgebäude und der Markthalle oder dem Markt das Zentrum der mittelalterlichen Stadt als dem Prototyp für Städte schlechthin.
Entsprechend emotional sind folglich auch alle Diskussionen und Debatten, die sich in Städten entzünden, wenn es um das Rathaus geht. Meist geht es dann ja um Umbau, Neubau, Abriss, Sanierung, Erweiterung, Verlagerung – eben um einschneidende Veränderungen.
Ja, Rathäuser gehören zur Seele einer Stadt, vielleicht sind sie ihre Seelen. Ich finde es gut, dass das heute so empfunden wird wie vor hundert oder noch mehr Jahren!
Wir, meine sehr geehrten Herren und Damen, können heute sagen, dass wir mit der Seele unserer Stadt sehr sorgsam umgegangen sind, vielleicht haben wir sie ja sogar im allerletzten Moment gerettet.
Denn all die Diskussionen über Sinnhaftigkeit oder Notwendigkeit der Sanierung, über die Nachhaltigkeit der Investition überhaupt, waren nötig und richtig und mussten angesichts der Größe des Vorhaben geführt werden. So anstrengend sie in Teilen waren, haben sie doch zum Glück am Ende die Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir unser Erbe angetreten haben, dass wir unser Rathaus erworben haben, um es nun auch besitzen und nutzen zu können und nicht nur als eine teure Last empfinden zu müssen.
Das war in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten nicht immer der Fall. Bis in die 80er Jahre hinein haben sich nach 1954 politisch Verantwortliche eher davor gedrückt, sich dieses Erbes anzunehmen.
Ich habe Belege dafür in einem prall gefüllten Aktenordner mit Zeitungsausschnitten zum Rathaus gefunden, der von unserer Pressestelle über die Jahre sorgsam zusammengestellt wurde. Ich habe dabei viel zu schmunzeln gehabt. Überhaupt war es amüsant, die Argumentationen in Politik und Stadtgesellschaft wie auch in den Medien zu lesen. Manche Meinung, mache Ansicht von damals lebt noch heute fort.
Wie sich die Leserbriefe gleichen, möchte man ausrufen! Z.B. eine Zuschrift aus dem Jahr 1960: Man braucht nicht mehr Platz im Rathaus, weil 90 % aller Angestellten sowieso überflüssig sind!
Sehr geehrte Herren und Damen, liebe Festgäste,
jetzt sind wir also am Ziel und können uns sagen: Das haben wir gut gemacht. Aber haben wir – außer uns unseres Erbes würdig zu erweisen – sonst noch etwas bewirkt?
Ich meine ja. Ich meine, dass wir mit diesem wieder hergerichteten Rathaus und diesem Ratssaal als seinem Herzstück sehr wohl eine Aussage über unser stadtbürgerliches Selbstverständnis machen. Und auch darüber, wie wir die Beziehung zwischen denen, die in ihm arbeiten (Verwaltung), die es nutzen (Bürgerschaft), die politische Prozesse steuern und Entscheidungen treffen (Politik) und unserer Stadt als Gemeinwesen gewichten.
Vielleicht hilft uns ja ein Blick 100 Jahre zurück bei der Einordnung. Im Jahre 1908 war die Welt für die Mülheimer Stadtregierung sehr in Ordnung. Der eindeutige Rat oder wohl eher die Weisung der Preußischen Regierung, anlässlich des 100jährigen Stadtjubiläums und des Aufstiegs zur Großstadt mit 100 000 Einwohnern, man möge nun aber auch endlich dafür sorgen, dass die Stadt ein repräsentatives, ein angemessenes Rathaus erhalte, wurde umgehend umgesetzt.
So eindeutige Aussagen zum Erhalt des Gebäudes gab es 100 Jahre später leider nicht – erst recht nicht von Seiten der Bezirksregierung!
Dabei hat sich an der Bürgersinn stiftenden Bedeutung eines Rathauses für eine Stadt auch in den zurückliegenden hundert Jahren nichts geändert. Und genau aus diesem Wissen heraus haben wir gehandelt, genau das haben wir beachtet und zur Grundlage unserer Entscheidung gemacht.
Wenn unser Rathaus also jetzt in seiner ganzen Schönheit, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg unter mangelhaften Baumaterialien und unter fehlender Fürsorge ganz verschwunden war, wiederhergestellt wurde, darf und sollte uns das nicht nur glücklich, sondern auch stolz machen. Dann wir setzen damit auch ein Zeichen dafür, dass wir eine selbstbewusste Stadt mit einem starken stadtbürgerlichen Selbstverständnis sind. Und dass wir kommunale Selbstverwaltung als den Auftrag verstehen, für die Bürger und Bürgerinnen Mülheims beste öffentliche Leistungen zu erbringen und zu sichern.
Ein für alle offenes Rathaus, in technisch und baulich werthaltigem Zustand ist nicht nur Ausdruck dieses bürgerlichen Selbstbewusstseins, sondern für mich auch eine notwendige Voraussetzung, um erstklassige Arbeit für die Stadt und ihre Einwohner leisten zu können.
Transparenz, gleiche Augenhöhe, Barrierefreiheit und einladende Offenheit sind Programm und Philosophie. Sie sind sowohl die prägenden architektonischen Stilmittel als auch unsere Leitwerte für Verwaltungshandeln gegenüber Zivilgesellschaft und Politik.
Ein Rathaus wie dieses, das nachgewiesener Maßen zu den architektonisch schönsten in Deutschland gehört, ist schon aus diesem Grund eine Erbschaft, die man als Stadt immer wieder neu erwerben muss, die man sich verdienen muss, deren man sich als Stadt auch würdig erweisen muss.
In der jetzt erzielten Offenheit und stilvollen Neuinterpretation, nicht zuletzt auch in der bewussten Wieder-In-Gebrauchnahme historischen Mobiliars und der Wiederherstellung historischer Raumsituationen legen wir auch ein Bekenntnis darüber ab, welchen Stellenwert wir den Werten lokale Demokratie, kommunale Selbstverwaltung und Bürgerfreiheit beimessen.
Sie können sicher nachvollziehen, wie sehr ich mich schon heute auf den für den Spätsommer geplanten „Tag der offenen Tür“ freuen, an dem alle Mülheimer und Mülheimerinnen ihr neues/altes Rathaus wiederentdecken und anschauen können.
Ich wünsche uns als Bürger und Bürgerinnen Mülheims, als Verwaltung und Politik, dass dieses Rathaus von den nach uns Verantwortung Tragenden als kostbares Erbe erkannt, erworben und sorgsam gehütet werden möge.
Ich wünsche unserer Stadt, dass es ein Ort lebendiger und starker lokaler Demokratie und selbstbewussten Bürgersinns bleiben möge.
Ich wünsche uns, diesem Haus und unserer Stadt Gottes Segen und Glück auf!
Kontakt
Stand: 03.07.2012
[schließen]
Bookmarken bei
Facebook
Twitter
Google
Mister Wong
VZ Netzwerke
del.icio.us