Archiv-Beitrag vom 28.04.2010OB Mühlenfeld lud zum Arbeitnehmerempfang
Rede von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld
zum Arbeitnehmer-Empfang 2010
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"Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen,
verehrte VertreterInnen aus Politik und Verwaltung,
willkommen zum Arbeitnehmerempfang 2010!
In meiner Einladung habe ich für heute Abend einen uns mit seinen Ausführungen anregenden Gastredner angekündigt. Zum Zeitpunkt des Versands der Einladungen war die Zusage von Dr. Claus Schäfer, Abteilungsleiter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in Düsseldorf, noch nicht 100%ig sicher. Heute aber kann ich ihn mit besonderem Gruß willkommen heißen.
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Im Internet findet sich beim Zugriff auf die Publikationsliste von Dr. Claus Schäfer allein seit dem Jahr 2000 bestätigt, dass unser heutiger Referent offensichtlich zu jedem wichtigen arbeitsmarkt- bzw. sozialpolitischen Thema hochkompetent Stellung bezogen hat.
Deshalb freuen wir uns sehr, dass Du die Einladung nach Mülheim an der Ruhr angenommen hast.
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Auch der Arbeitnehmerempfang 2010 findet zeitlich – wie im Jahr 2009 – in einer Vorwahlzeit statt. Aber das wird heute – ebenfalls wie im Vorjahr – nicht im Mittelpunkt stehen. Und das wird – weil bewährte Tradition – auch im Jahr 2010 der Veranstaltung gut tun und ihr ihre seit Jahren gute Akzeptanz erhalten. Das ist ja auch heute wieder an der großen Zahl der Zusagen und Gäste ablesbar.
Denn auch ohne den Wahlkampf gibt es aktuell genügend brisante und wichtige Themen, die im Raum stehen und den Hintergrund für alle Traditionsveranstaltungen rund um die jährlichen Maifeiern und Maikundgebungen darstellen.
Zwei von den Themen will ich herausgreifen:
- die Auswirkungen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise auf die Metropole Ruhr und die Stadt Mülheim als Teil davon.
- die Finanzkrise der kommunalen Haushalte mit besonderem Augenmerk auf den Städten des Aktionsbündnisses "Raus aus den Schulden – für die Würde unserer Städte".
Zu 1.
Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ist noch nicht überwunden und – wie vermutet – gerade im Jahr 2010 werden einige Auswirkungen mit besonderer Wucht bei den Menschen ankommen.
Die Auswirkungen bedrohen die betroffenen Menschen und Familien ebenso wie die staatlichen Sicherungssysteme und die Kommunen als unmittelbare Lebensräume der Menschen.
Unter diesen Umständen kann es uns nicht egal sein, wenn republikweit festgestellt werden muss,
- dass die Tarifbindung weiter abnimmt,
- dass die Situation in Leiharbeitsverhältnissen zutreffend mit "Heuern und Feuern" beschrieben wird.
Und kalt kann uns gerade in den Kommunen auch nicht lassen, wenn befristete Beschäftigungsverhältnisse kontinuierlich zunehmen.
Das alles führt zu unsicheren Lebensverhältnissen für eine wachsende Zahl von durchaus unterschiedlich qualifizierten Menschen und bedroht die Kommunen wegen der fehlenden sozialen Sicherheit mit mittel- und langfristig steigenden Sozial- und Transferkosten.
Bei unsicherer Arbeit, unsicheren Lebensverhältnissen, einer unsicheren Zukunft gründen Menschen keine Familien, fließen zu wenig Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme. Mit der Beschreibung der Abwärtsspirale, die so in Gang kommt, könnte man allein den ganzen Abend füllen.
Und diese Auswirkungen sind sehr schnell in den unmittelbaren Lebensräumen, in den Städten und Gemeinden zu erleben. Hier wird sich entscheiden, ob und wie wir in unserem Land den sozialen Zusammenhalt sichern können.
Für das kommende Jahrzehnt sehe ich deshalb sechs Fragen bzw. Aufträge.
- Wie gehen wir in unseren Städten – insgesamt in unserer Gesellschaft - mit Langzeitarbeitslosigkeit um?
- Unser Ziel muss es weiterhin bleiben, mehrheitlich "normale" Arbeitsverhältnisse zu sichern. Also solche, deren Entlohnung lebensauskömmlich ist und die sozialversicherungspflichtig gestaltet sind.
- Vollbeschäftigung muss arbeitsmarktpolitisches und gesellschaftspolitisches Ziel bleiben.
- Die soziale Spaltung der Gesellschaft muss auf allen Ebenen dauerhaft verhindert und kontinuierlich bekämpft werden.
- Bildung muss weiterhin das Leitprojekt für gute Wirtschafts- und Sozialpolitik sein und bleiben.
- Wie stellen wir schnellstmöglich und dauerhaft die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben her und sicher?
Alle sechs Punkte haben es in sich, und alle sechs Punkte werden am Ende über die Zukunft unseres Landes und unserer Demokratie entscheiden.
Zu 2:
Mindestens genau so schwierig und genau so wichtig ist das zweite Thema, dem man aktuell nicht ausweichen kann:
Die Finanzkrise der kommunalen Haushalte wird von fast niemandem auf keiner föderalen Eben mehr bestritten. Die Gefahr für die Sicherung der kommunalen Versorgung der Menschen und der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen ist unübersehbar und nicht mehr zu leugnen.
Besonders betroffen sind die bevölkerungsreichen industriell geprägten Regionen in unserem Land. Und hier besonders die Städte und Kreise der Metropole Ruhr und des Bergischen Landes. Sie befinden sich zum Teil schon seit mehreren Jahrzehnten in einem kontinuierlichen Strukturwandel.
Jahrzehntelange strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte durch Bund und Land, erlassene und nicht ausreichend gegenfinanzierte Gesetze und Vorschriften zu Lasten der Kommunen, die gestiegenen Lasten aus Einheit Sozialkosten und stetig wachsenden neuen Aufgaben ohne dementsprechende finanzielle Kompensation haben die kommunalen Haushalte an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Eine Reihe von Städten und Gemeinden sind bereits überschuldet.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben sich die Spitzen von kommunalen Gebietskörperschaften, also Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte sowie ihre Kämmerer, zu einem gemeinsamen Bündnis zusammengeschlossen. Aktuell repräsentiert es rund 8 Millionen Menschen in NRW.
Nach Jahren vergeblichen Warnens wurde in diesem Aktionsbündnis die letzte Chance gesehen, um endlich Gehör zu finden. Schließlich wollen wir alle unsere Städte vor dem Sturz in den Abgrund bewahren und auch in Zukunft und dauerhaft unseren verfassungsmäßigen Auftrag – nämlich Erbringung kommunaler Dienstleistung und Bereitstellung kommunaler Infrastruktur für unsere Bürger und Bürgerinnen erfüllen.
Das hat große Bedeutung: Wenn wir die Lebensqualität in unseren Städten sichern, sichern wir den sozialen Frieden und unsere parlamentarische Demokratie. Die Gefahr, die unseren Städten droht, bedroht auch unser ganzes Land.
Unsere Forderungen sind so klar wie inzwischen bekannt: Sie richten sich an die Landes- und die Bundesregierung. Parteipolitik wurde im Interesse der Menschen zurückgestellt, so dass trotz des Landtagswahlkampfes das Aktionsbündnis aus CDU und SPD-Stadt- und Kreisspitzen geschlossen agiert hat.
Unsere Ziele werden wir unermüdlich und parteiübergreifend weiter einfordern, egal wer nach dem 9. Mai in Düsseldorf die Regierung stellt, egal, wer in Berlin regiert: Die Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht darauf, dass wir alles tun, um die Würde unserer Städte zu erhalten bzw. wieder zu gewinnen.
Vier zentrale Forderungen müssen erfüllt werden, damit der Spar- und Konsolidierungskurs, den wir alle unseren Städten und den Menschen verordnet haben, Akzeptanz findet und eine Perspektive auf dauerhafte Besserung entfalten kann:
- Kommunen müssen dauerhaft ihren Aufgaben angemessene Finanzmittel zur Verfügung gestellt bekommen, die weitgehend unabhängig von konjunkturellen Schwankungen sein müssen.
- Städte und Kreise – die dort lebenden Menschen – sind mindestens so systemrelevant wie es die Banken waren oder jetzt die finanziellen Hilfen für Griechenland zur Stützung des Euros sind. Wir fordern einen Rettungsschirm oder Altschuldenfonds für Kommen.
- Wir fordern befristete Freistellung von Zins- und Tilgungslasten, um eine Erholung der kommunalen Haushalte zu ermöglichen.
- Wir wollen von den Einheitslasten freigestellt werden, solange alle Solidaritätsmittel, die wir in den Bündnisstädten z.B. sämtlich über Kassenkredite finanzieren müssen, weiterhin ausschließlich in die neuen Länder fließen.
Seit dem 23. April 2010, dem zweiten Treffen der OBs und LR mit Finanzminister Dr. Linssen, sind wir einen Schritt weiter. Die Landesregierung hat ebenso wie die Bundesregierung zugesichert, dass den Kommunen geholfen werden wird. Und es wird keine Junktims, keine Wenn-dann-Bedingungen, kein Beharren auf der vorherigen Erledigung der kommunalen "Hausaufgaben" mehr geben. Die müssen natürlich trotzdem gemacht werden. Aber endlich ist die Strategie des Landes vom Tisch, erst dann den Städten helfen zu wollen, wenn andere – zum Beispiel der Bund – vorher konkrete Zusagen gemacht haben. Das war eine schlimme Blitzableiter-Strategie, die uns nur hinhalten sollte.
Das Land und der Bund haben sich – so ist das nun mal in der Politik – erst bewegt, nachdem wir öffentlich gehörig Druck gemacht haben. Den müssen wir aufrechterhalten, und dazu benötigen wir dringend auch die Unterstützung der Tarifpartner, also der Gewerkschaften und der KollegInnen in den Betrieben.
Zusätzlich gibt es weitere Aktivitäten auf allen föderalen Ebenen, und auch in den Städten formieren sich immer aktiver zivilgesellschaftliche Bündnisse, die Verantwortung für die Zukunft ihrer Städte übernehmen wollen.
Sie sehen, wir leben in schwierigen Zeiten, und dabei habe ich von den globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Demografischen Wandel heute gar nicht erst gesprochen!
Die Lage erfordert den Schulterschluss aller gesellschaftlichen Kräfte im Land– darin die Sozial- und Tarifpartner, und deshalb sind die beiden Themen heute hier gut und richtig gesetzt.
Schließlich geht es um die Zukunft dieses Landes und seines demokratischen Gesellschaftsmodells!"
Fotos: Walter Schernstein
Kontakt
Stand: 29.04.2010
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