Das Mülheimer Martinslied Kurzinfo

"Ssinter Mätes Vögelsche"

Motivgeschichtlich gehört unser "Ssinter Mätes Vögelsche" zu einem Typus von Heischeliedern (Bettellieder), dessen Wurzeln bis in germanische Zeiten zurückreichen. Es ist von Flandern über Brabant, Limburg und den Niederrhein bis zur Altmark in über 40 Versionen verbreitet. Für Mülheim entdeckte es Rektor Wilhelm Klewer zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in "aulen Papieren" neu und sorgte als Initiator des "Plattdütschen Kringk" auch dafür, dass es gesungen wurde. Der Text ist für viele Mülheimer heute noch der Inbegriff des mölmschen Dialekts. Die "Bürgergesellschaft Mausefalle" hält die Tradition aufrecht, indem sie das Lied beim alljährlichen "Chrubbel Chrabbel" anstimmt.

Die Melodie beschränkt sich – wie bei solchen Gesängen üblich - auf wenige Töne, die stets wiederholt werden. Wichtiger ist der abwechslungsreiche Text, der sich wohl über Jahrhunderte angereichert haben dürfte.

Die Frage nach der Bedeutung des Martinsvögelchens mit dem roten Kapützchen ist nicht einfach zu beantworten. Klewer selbst stellte noch kurz vor seinem Tode unter dem Titel "Wän üs dat sinter Mätes Vüögelche?" Untersuchungen und Vermutungen in Mölmsch Platt an. Dabei schließt er die Gans kategorisch aus und legt sich auf einen Greifvogel, die Kornweihe fest. Sie wird schon in Jakob Grimms "Deutsche Mythologie" und auch im Französischen als Martinsvogel bezeichnet. Aber es gab wohl noch eine Reihe anderer mit diesem Namen. Schriftliche Zeugnisse in Lateinisch und Althochdeutsch aus dem 13. und 15. Jahrhundert bezeichnen das Erscheinen eines Martinsvogels als gutes Omen.

Verankert im germanischen Mythos war der Schwarzspecht (dryocopus martius) als der Feuerbringer. Er entspricht mit seiner auffälligen roten Haube am ehesten dem "roat Kapögelschen" unseres Liedes. Noch in neuerer Zeit wird er im Rheinland als Martinsvogel bezeichnet. Liedversionen anderer Landschaften kennen aber auch ein goldenes Schnäbelchen und ein blaues Röckchen. Die meisten Brauchtumsforscher gehen von einer Umwidmung eines ehemals germanischen Vogelmythos auf die Heiligenverehrung des Martin von Tours im Zuge der Christianisierung aus. Denn nicht zuletzt wurde hier der heidnische Erntedank durch den Martinstag überformt.

Die späteren volkstümlichen Deutungen als Hahn, Kapaun, Gans, die im übrigen keine rotes Häubchen hat, scheinen oft plausibel, greifen aber zu kurz. Es ist ratsam, von keiner bestimmten Vogelart auszugehen.

Sinngemäß lesen sich die ersten vier Zeilen also wie folgt: "Ein Martinsvögelchen kreist in weiten Kreisen über das rheinische Land und bringt die frohe Kunde, dass nun überall Schlachtzeit ist."

Denn nun können die "Heischegänger", in früherer Zeit oft randalierende Jugendliche, später erst Kinder, sich auf den Weg machen, um ihren Teil vom Erntedank zu bekommen.

Der weitere Text spiegelt das Ereignis selbst und findet sich im niederfränkischen Sprachgebiet im wesentlichen auch in den anderen Textversionen wieder. Ausnahmen bilden "Ssinter Mätes Stuppstatt" und "föar dän aulen Padsfuut". Mit Stuppstatt = Stummelschwanz soll in Mülheim scherzhaft die jüngst Magd bezeichnet worden sein und mit Padsfuut = Pferdefuß das Attribut des Teufels, den die Geber durch ihre Großzügigkeit besänftigen können. Der Herleitung von "Muus" als Ausdruck für den jüngsten Knecht steht die tatsächliche Bedeutung "Maus" in vielen anderen Versionen entgegen. Allerdings muss man sich von der Vorstellung lösen, dass jede Zeile mit der vorigen in logischem Zusammenhang steht. Der Text ist auch insgesamt eine Reihung verschiedener Elemente unterschiedlichster Herkunft. Der bei uns hochdeutsche Teil wird im ganzen Rheinland gesungen, auch im jeweiligen Ortsdialekt, ist also ebenso verbreitet wie der Spottvers am Ende.

Dennoch darf man feststellen, dass unser "Ssinter Mätes Vögelsche" in seiner speziellen Ausformung wie kein anderes Lied Sprache und Brauchtums unserer Stadt bewahrt hat.

(Franz Firla)


Stand: 02.11.2017

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